Ein Gespräch mit Emil Krastev, veröffentlicht im Literaturjahrbuch „Sveta gora“
Wie sind Sie auf die Literatur gekommen?
Bereits als Student habe ich bei einer Zeitung gearbeitet. Und wie alle wissen, träumt jeder Journalist davon, als Schriftsteller anerkannt zu werden. Wenn er seinen vierzigsten Geburtstag schon hinter sich hat und seine Versuche auf dem literarischen Feld immer noch unbemerkt geblieben sind, fängt er an, mit anderen Artgenossen über die erfolgreichen Schriftsteller zu lästern: „Wie kann sich dieser überhaupt ein Schrifsteller nennen? Ich will ihn dreißig Jahre nach seinem Tod sehen, ob sich da überhaupt jemand noch an ihn erinnert...“ Aber wenn man fünfundzwanzig ist, interessiert einen die Bohne, was dreißig Jahre nach seinem Tod über ihn geredet wird. Und das ist gut so.
Wie schätzen Sie aus heutiger Sicht Ihr Debüt „Wilde Hoffnung“ ein?
Ende der siebziger Jahre begann mein Krieg mit Verlegern und Lektoren, ich wollte unbedingt mein erstes Buch veröffentlichen. Ich habe mich jedes Mal unsagbar peinlich gefühlt, als ich immer wieder die Antwort bekam, der Verlag sei auch in diesem Jahr voll ausgebucht. Ich tröstete mich mit dem Selbstgefühl der dummen Menschen und verglich mich mit dem Meister aus Bulgakovs „Der Meister und Margarita“. Heute blättere ich ab und zu in „Wilde Hoffnung“ und kratze mich hinters Ohr – naja, so ganz ohne Grund waren die Absagen der Verleger und Lektoren nicht ... Aber das währt nur Sekunden, dann plustere ich mich auf – hm, die Absagen waren doch nur bedingt begründet.
Hat Ihnen die journalistische und später die verlegerische Tätigkeit beim Schreiben geholfen?
Durch die Journalistik habe ich es gelernt, vor der Abgabe jeden Text mehrmals durchzulesen und zu korrigieren. Später im Verlag habe ich mir das abgewöhnt.
Welche Vorbilder haben Sie in der Literatur?
In die Stapfen eines Schriftstellers zu gehen ist der kürzeste Weg zur Nachahmung.
Wie fällt Ihnen das Schreiben – leicht oder schwer, schreiben Sie schnell oder langsam?
Vor Jahren hat mir jemand erzählt, wie W. Saroyan eines Abends beim Poker achtzigtausend Dollar verspielt hat, nach Hause kam und bis zum Morgen ein Theaterstück fertig schrieb, das er für sechzigtausend verkaufen konnte, mit anderen Worten, den Verlust fast beglich. Damals hätte ich beinahe einen Minderwertigkeitskomplex entwickelt. Ich konnte mir aber einreden, daß es eines der vielen Gerüchte ist, die man über berühmte Schriftsteller so verbreitet und konnte so eine Depression verhindern. Aber der Tagessatz von Hemingway – zweitausend Worte jeden Morgen und dann die Beine schwingen lassen – das scheint mir bis heute wie ein Mount Everest, den ich mit nackten Füßen erklimmen muß.
Glauben Sie an die Inspiration? Oder üben Sie sich in Ausdauer und schreiben jeden Tag?
In seinem Buch „Psychologie des literarischen Schreibens“ zittiert der bulgarische Literaturwissenschaftler Michail Arnaudov Balzac: „Die Ideen dringen ins Herz oder in den Kopf ohne Erlaubnis ein. Keine Kurtisane war eigensinniger oder gebieterischer als die Vorstellung der Künstler; wenn sie erscheint, sollte man sie fest beim Schopf ergreifen – wie das Schicksal“. Wenn ich an diese Aussage denke, strenge ich mich an und bin bereit, die Vorstellung beim Schopf zu ergreifen. In diesem Augenblick aber erklingen in meinem Kopf zwei Verse aus einem Lied von Wladimir Wissozky: „Mich hat heute die Muse aufgesucht./ Hat sich in meinem Zimmer kurz aufgehalten und ist wieder gegangen.“
Und dann sitze ich und zerreiße mich zwischen dem Schicksal und der Muse.
Halten Sie sich für solidarisch mit Ihrer Generation in der Literatur?
Ich habe nie gedacht, daß ich zu einer bestimmten Generation gehöre. Und die Solidarität ist eine Sache der Gewerkschaften – das haben wir 1980 von den Polen gelernt. Der Schriftsteller ist allein. Sonst ist er ein Gesellschaftstier.
In letzter Zeit wird viel über den Postmodernismus in der bulgarischen Poesie und Prosa geredet. Was halten Sie davon?
Der Schriftsteller ist eine Person des öffentlichen Interesses. Er will, daß andere lesen, was er gedacht und ausgedacht hat und ihn dafür loben. Ihm steht die Wahl der Mittel frei, durch die er diesen seinen Gedanken Ausdruck verleiht. Es ist sein gutes Recht, um Anerkennung zu kämpfen, und es ist auch sein gutes Recht, nach Ausdrucksformen zu suchen, mit denen er eine Spur in der Zeit hinterläßt. Es ist sein gutes Recht, das Risiko einzugehen, von allen ausgelacht zu werden.
Jemand hat gesagt, daß „der Stil eine konzentrierte Form der ethischen Persönlichkeit“ ist. Wie würden Sie diese Äußerung erläutern in Bezug auf Ihre eigenen Werke und Ihren Stil?
Ich bin nicht fest überzeugt, daß der Stil eine so große Bedeutung hat. Außerdem ändern sich die ethischen Grundsätze mit der Zeit. Wir sind Zeugen, wie bestimmte Taten, Handlungen, Argumente, Aussagen, von Unverschämtheit und Rücksichtslosigkeit gezeichnete Auftritte mancher Zeitgenossen, die früher die anständigen Menschen vestummen oder in sich kehren ließen, heute mit Begeisterung begrüßt werden. Ob uns das gefällt, ist eine andere Frage. Aber der Schriftsteller muß mit seiner eigenen Sprache reden – selbst wenn am Anfang sein Lied für ein Krächzen gehalten wird.
Fühlen Sie sich nicht von der Dramaturgie angelockt? Ich finde, daß Ihre neuen Bücher auf die Bühne gestellt oder verfilmt werden können...
Es ist der Traum eines jeden Schriftstellers, seine Werke auf der Bühne oder der Leinwand zu sehen. Warum nicht? Als ich noch ganz jung war, haben wir uns in Kneipen und bei Gesprächen über Dichter, Schriftsteller, Romane, Gedichte unterhalten. Jetzt sitze ich manchmal mit meinen Kindern und ihren Freunden zusammen – alle im Alter zwischen siebzehn und dreiundzwanzig – und schweige oder nicke ab und zu mit dem Kopf, damit sie nicht denken, der ist verschroben. Sie unterhalten sich lebhaft, unterbrechen einander, kommentieren und oft sind ihre Gedanken gar nicht so ohne Sinn und originelle Sicht, sie diskutieren aber nur über Filme, Schauspieler, Computereffekte, Produzenten, Stunter, die Einnahmen von jungen Kinostars aus dem letzten Streifen und manchmal auch über Filmregisseure, wenn sie vom letzten Kinohit sehr beeindruckt sind. Deshalb träumt auch der Schriftsteller bei uns von einem prallen Bankkonto und von Ruhm und Glück, bei solchen Gesprächen erwähnt zu werden, obwohl sich die jungen Leute kaum noch für die Drehbuchautoren interessieren. Vor fünfunddreißig Jahren habe ich auch versucht, Drehbücher und Theaterstücke zu schreiben. Das hat, Gott sei Dank, nur kurze Zeit gedauert.
Der „intellektuelle Hüter Europas“ Jean-Paul Sartre hat sich gefragt: müssen wir Werke schaffen, reflektieren oder entdecken? Wie würden Sie diese Frage beantworten?
Das ist eine Frage mit so vielen Antworten, wie viele Menschen es auf der Erde gibt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob Sartre selbst nur eine Antwort darauf hatte. Ich denke, jeder sollte das tun, was er kann. Der Straßenbahnfahrer soll die Verkehrsregeln einhalten, der Abgeordnete soll bei Abstimmungen im Parlament nur seine eigene Karte benutzen, und der Schriftsteller soll nur dann schreiben, wann er es nicht lassen kann. Nur dann kann er Werke schaffen, reflektieren, entdecken. Die Wahrscheinlichkeit, daß es ihm gelingt, ist allerdings nicht groß, das bedeutet aber nicht, daß wir uns einfach hinlegen und auf den Tod warten sollen.
Was halten Sie vom Experimentieren beim literarischen Schreiben?
Ohne Experimetieren gibt es kein literarisches Schreiben.
Glauben Sie nicht, daß Ihre Prosa pessimistisch klingt?
Hat jemand wohl Dostojewski Pessimismus vorgeworfen? Der Schriftsteller beschreibt das Leben so, wie er es sieht. Und geht dabei das Risiko ein, nur von denjenigen gelesen zu werden, die ihn verstehen. Selbst wenn das zwei-drei Menschen sind. Außerdem: bei uns interessiert sich schon sowieso niemand für das, was geschrieben wird. Wer berühmt werden will, der braucht nur unbedingt sich an die Regel des Happy Ends zu halten.
Ich persönlich denke, daß die Welt voll ist von Ruhm-Anwärtern, einer weniger wird nicht schaden.
Welche Autoren lesen Sie oft?
Cortázar, Kafka, Daltschev. Ich hatte das Glück, Vladimir Poljanov persönlich zu kennen. Die bulgarischen Diaboliker sind in Vergessenheit geraten, wenn jemand ab und zu sich an sie erinnert, dann nur, um seine eigene Popularität auf ihr Konto zu erhöhen.
Was ist eigentlich das Wichtigste, das Sie durch Ihr Schreiben vermitteln wollen?
Zusehen und Nachdenken. Es kann sein, daß man eines Tages beides braucht.
Sehen Sie eine gute Zukunft für Bulgarien?
In die Zukunft zu schauen ist sehr schwierig. Vor mehr als zwanzig Jahren konnten sich auch die Futuristen nicht vorstellen, was heute passieren würde. Aber es gilt nach wie vor – tun, was getan werden muß, und es komme, was da wolle.